B.7 Meditationen zu Texten aus dem "Stundenbuch"

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I,7 Wenn es nur einmal so ganz stille wäre


Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.

Wenn das Zufällige und Ungefähre

verstummte und das nachbarliche Lachen,

wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,

mich nicht so sehr verhinderten am Wachen - :


Dann könnte ich in einem tausendfachen

Gedanken bis an deinen Rand dich denken

und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),

um dich an alles Leben zu verschenken

wie einen Dank.

 

Meine kleine Reihe von „Gebeten“ aus dem „Stundenbuch“ wäre gewiss nicht vollständig und geeignet, einen ersten Eindruck von dieser Dichtung zu geben, wenn Text 7 in der von Rilke festgelegten Reihenfolge fehlen würde. Es kommt mir so vor, als ob die Suchbewegung des Dichters erst jetzt zu einem gewissen Abschluss gelangte.

Wir wissen aus der Biographie Rilkes, dass er sich nach Alleinsein und Stille gesehnt hat, und sie, so oft es ging, aufgesucht hat. Besonders deutlich wird dieses Bestreben Rilkes im Winteraufenthalt 1912 auf 1913 im (alten) Schloss Duino, in Ronda ein Jahr später, und zuletzt im Turm von Muzot. Rilke hat in der Einsamkeit seine Stimme als Dichter gesucht und gefunden. Ich bin diesen Zusammenhängen in einem eigenen Aufsatz nachgegangen („Leise Dialoge mit der Ewigkeit“. Rainer Maria Rilke suchte eine neue, diesseitige Spiritualität – und fand sie in der Stille.“ Publik Forum Extra 6/08 S.23 f. Leicht überarbeitet unter „Studien zu Rilke“ auf dieser Interseite.)

Ich knüpfe an Rilkes Biographie an und frage, was in den Formulierungen dieses Textes mitschwingt und was der Text in uns anregen könnte. Rilke spitzt zu, es geht ihm nicht allgemein um eine unbestimmte Stille-Erfahrung. Er sagt: „Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.“  Der zweite und dritte Vers setzt die Stille vom veräußerlichten Leben ab, das sich seiner Meinung nach vorwiegend im „Zufälligen und „Ungefähren“ abspielt. Wichtig ist der Hinweis auf das Lachen. Es wird überliefert, dass Rilkes Erscheinen im Kreis seiner Freunde, zum Beispiel in Worpswede, stets mit Ernsthaftigkeit verbunden war. Er hat sich wohl mit dem Lachen schwergetan. Die erste Strophe mündet in die paradoxe Formulierung ein vom „Geräusch, das meine Sinne machen“. Folgt man dem Textsinn, ist die Formulierung schlüssig. Noch die Tätigkeit der Sinne im Hören, Riechen, Schmecken kann als störendes „Geräusch“ empfunden werden. Es soll eben „ganz“ stille sein und in der Stille soll ein Wachwerden vor sich gehen, das den Menschen in Verbindung mit seinen Wurzeln bringen wird.

Die zweite Strophe ist nicht weniger spannend zu lesen. Die Gedanken des Mönchs kreisen ja um Gott, als den „uralten Turm“, und sie kreisen „jahrtausende lang“ (1,2) Der „tausendfache Gedanke“ nimmt diese Formulierung wieder auf und stellt dadurch eine Vernetzung innerhalb der Gedichtsammlung her. „Bis an deinen Rand“  -  „Gott“  kann als Abgrund vorgestellt werden. Der Mensch kann nur bis an den Rand des Abgrunds vorstoßen. Das letzte Geheimnis ist „unsäglich“, ein Wort, das Rilke gerne benutzt hat. „Das Unsäglich sagen“, so hat er die Aufgabe der Dichtkunst formuliert. Die zweite Strophe ist damit aber noch nicht „erschöpft“. Was der Mensch von „Gott“ erfährt, soll er nicht für sich behalten, nicht „besitzen“. Er soll es weiter geben, „wie einen Dank“ verschenken.

Wir nehmen noch einmal den Faden vom ersten Psalm auf. „ O Glück des Menschen. / der (…) Lust hat an S E I N E R Weisung, über seine Weisung murmelt tages und nachts!“ (Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig). Wir würden heute von „Meditation“ und „Kontemplation“ sprechen. Das Wort „murmeln“ deutet auf das Beten der orthodoxen Juden seit dem Bündnis mit Jawhe hin. Rilke hatte ja auf seinen Russlandreisen wiederholt erlebt und in Briefen beschrieben, dass der fromme Russe beim Beten seinen Oberkörper hin und her bewegt und sich dadurch in die Meditation hinein begeben würde. Doch es geht nicht so sehr um das „Murmeln“ als eine Form des Betens, sondern es geht um die Aussage des ersten Psalms, dass die Meditation über das Wort Gottes den Urgrund abgibt für ein gelingendes Leben. Der Baum, der das Wasser Gottes „trinkt“,  wird erst jetzt als Metapher durchsichtig.. Der Psalm fährt fort: „Der wird sein / wie ein Baum, an Wasserläufe verpflanzt, / der zu seiner Zeit gibt seine Frucht / und sein Laub welkt nicht: / was alles er tut, es gelingt.“  Der 7. Text, so können wir jetzt sagen, ist ein Versuch, das „Murmeln“ aus dem ersten Psalm (auch als „Nachsinnen“ übersetzt) in eigenen Worten auszudrücken.

(Der erste Psalm ist auch noch in einer weiteren Hinsicht aufschlussreich. Es geht wie bei Rilke stets um die Klage und um das Lob. Die  Hinweise auf den ersten Psalm verdanke ich meinem Gesprächspartner Gerhard Schmidt, evang. Pfarrer im Ruhestand.)

 

© Johannes Heiner 01/2013

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